Abuelo Paco

Abuelo Paco

Mein Großpapa verlässt zum ersten Mal Spanien*. Er kommt, um uns in der Schweiz zu besuchen.

Er ist eine friedliche, verfügbare Person. Egal, wie viel Zeit er noch zu leben hat, er teilt diese großzügig und weitherzig mit seinen Mitmenschen. Mit ihm zusammen haben wir eine Traumbude gebaut, auf der großen Eiche, neben unserem Haus.

Es ist eine wahre Freude, mit ihm durchs Dorf spazieren zu gehen. Dieser kleine Mann hat Fun an allem, was ihm gezeigt wird (die ganze Schweiz, um ehrlich zu sein!). Es ist einfach nur geil, mit ihm unterwegs zu sein. Andererseits versteht er kein Wort Französisch, gar nix, aber es ist ihm völlig schnuppe, es ist nahezu fantastisch, wie gleichgültig es ihm ist.

Wenn wir zum Beispiel einem Menschen begegnen, der dabei ist, seine Begonien, Geranien oder ein anderes exotisches Gemüse mit irgendwelchen Kroketten zu füttern (ja, ich weiß, eigentlich sollte man den Begonien kein Rindfleisch geben!), nähert sich Paco dem Zaun und wirft ein:

– Hola ! Mira que flores tan bonitas teneis usted !

Fassungslos erwidert  der Sonntagsgärtner so was wie:

– Äh… sorry, ich … no comprendo.

Dann gestikuliert mein Großpapa, zeigt ihm die Gartenblumen, um ihn dafür zu loben, dass sie so schön geworden sind, weil er sie (selbstverständlich) außergewöhnlich schön findet. Der Hobby-Gärtner, der vom Lob gerührt ist, beehrt ihn mit einem verlegenen „Danke“ (man muss die Sprache nicht können, um einen Dank verstehen zu können).

Großpapa fährt gleich fort und redet über alles Mögliche (auf Spanisch), ohne sich im Geringsten über die Verwirrung des Gesprächspartners Gedanken zu machen. Der Schweizer ist von Natur aus immer respektvoll und versucht sich zu konzentrieren, um so gut es ihm gelingt verstehen und antworten zu können. Herausgerissen aus seinen bequemen Konventionen und aus den alltäglichen Smalltalks, ist er nun ins Abenteuer eines exotisch gefärbten Gesprächs eingebunden.

Und jetzt werde ich Zeuge eines neuen Kauderwelschs, das ihnen immer eigen ist und das nur diesen beiden Menschen gehören wird: Es besteht aus Wörtern, die den beiden jeweiligen Sprachen entnommen sind, aus großen Bewegungen, die an eine Choreografie erinnern, aus zusammengestotterten Worten und gegenseitigen Lachattacken. Wenn mein Opa seinen Weg fortführt, verabschieden die beiden neuen Freunde einander überschwänglich. Der Gärtner neigt sich wieder zur Erde und steckt die Nase in die Blumen (das weiß doch jeder: die Begonie küsst einen auf die Nase, wenn man sie richtig pflegt), mit einem Lächeln auf den Lippen (die Begegnung hat ihn bestimmt an die Ferien erinnert).

So hat sich mein Opa benommen. Jeder liebte ihn (es wäre unmöglich gewesen, ihn nicht zu lieben).

 

Das schönste Geschenk von Großpapa

Die Bude von Großpapa ist nicht mehr.

Sie wurde von der Zeit zunichtegemacht, aber in meiner Erinnerung bleibt sie intakt. Und komischerweise bin ich trotz der vergangenen Jahre für dieses außergewöhnliche Geschenk immer dankbar geblieben.

 

Großpapa ist auch nicht mehr.

Aber er hat mir diese Lektion fürs Leben hinterlassen, die alles andere als schulisch ist, weil er einfach war, wie er war. Indem ich damals zugeschaut habe, verstand ich, dass der Wunsch, seinen Mitmenschen kennenzulernen noch wichtiger ist als die Art und Weise, die man anwendet, um dies zu erreichen. Auch wenn die Fähigkeit dazu fehlt, ist dies im Grunde oft nur eine Entschuldigung für die Vorurteile, welche die eigentliche Begrenzung sind.

Aber das schönste Geschenk, das mir Großpapa hinterlassen hat, ist eine außergewöhnliche Mutti, die ohne ihn nicht dieselbe gewesen wäre.

 

* Während dieser Reise sieht er übrigens das Meer zum ersten Mal.

 

 

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